Die Kompression – ein Leben lang statt lebenslang

Wer hat schon davon geträumt dauerhaft Kompressionen zu tragen? Dabei ist mein neuer Lebenspartner immer für eine Überraschung gut.

Seien wir ehrlich, sicherlich haben die wenigsten von uns davon geträumt dauerhaft Kompressionen zu tragen. Nach der Diagnose geht alles ganz schnell und ehe man sich versieht, steht man mit einem Rezept zur Kompressionsversorgung in der Hand im Sanitätshaus. Schon kurze Zeit später schmückt die neue Kompressionsstrumpfhose unsere Beine. 

Das alles passiert so schnell, dass der Kopf gar nicht die Möglichkeit hat, die Eindrücke und Gedanken zu sortieren. Die Zeit bis zur ersten Kompressionsstrumpfhose vergeht wie im Flug und da die Kompression nicht die einzige Veränderung im Leben eines Lipödem bzw. Lymphödem Betroffenen ist, bleibt erneut wenig Raum sich mit seinen Gedanken auseinander zu setzen. Wie wohl der Alltag und der tägliche Umgang mit der Kompressionsstrumpfhose sein wird? Da kann es schon mal passieren, dass man von der neuen Situation überrannt wird. 

Die Kompression – mein neuer Partner

Obwohl ich eine vage Vorstellung hatte, was auf mich zukommt, war die erste Konfrontation mit meinem neuen Lebensbegleiter anders als gedacht. Zum einen fragte ich mich, wie ich da wohl alleine rein komme ohne direkt wieder duschen zu müssen und zum anderen merkte ich, dass ich nur glaubte gut vorbereitet zu sein. Der erste Gang in freier Wildbahn ist dann schon eine kleine Herausforderung gewesen.

In den ersten Tagen stellte sich schnell heraus, dass mein neuer Partner im Alltag immer wieder für eine Überraschung gut war. Alleine für das Anziehen musste ich extra Zeit mit einplanen. Toilettengänge wurden akribisch geplant und obwohl ich meine Kompressionsstrumpfhose stolz präsentierte, schlichen sich manches Mal zweifelnde Gedanken dazwischen. Gefühlt drehte sich die ersten zwei Wochen meine ganze Alltagsplanung nur noch um die Kompressionsstrumpfhose. Das war dauerhaft natürlich keine Lösung. Jedoch wusste ich, warum und wofür ich sie trage und war dem ganzen eigentlich positiv gegenüber gestimmt. 

Das war der springende Punkt, ich musste meine Grundhaltung ändern, um eine positive Sicht auf die Dinge erlangen zu können.

Ich versuchte meinen Blickwinkel zu ändern und betrachtete die Situation erneut etwas von außen. Dabei wurde mir klar, dass es sich mit der Kompressionsstrumpfhose wie mit einem neuen Lebenspartner verhält. Da wir uns diesen Lebenspartner nicht selber ausgesucht haben, erscheint es natürlich noch etwas schwerer, diesen zu akzeptieren. Man wächst im Alltag und mit den Herausforderungen zusammen. Dazu gehört einander anzunehmen und kennenzulernen. 

Vor allen Dingen die Vorzüge schätzen zu lernen. Ändern können wir es eh nicht mehr, also können wir auch direkt das Beste aus der Situation rausholen. 

Ein großes Pflaster

Wunden werden mit Pflaster versorgt, mein Pflaster ist einfach etwas größer und zeitgleich Balsam für die Seele. 

Als ich noch keine Wechselkompression hatte und meine einzige Kompressionsstrumpfhose in der Wäsche lag, musste ich am folgenden Tag ohne Kompression laufen. Innerlich dachte ich mir, dass dies keine Anstrengung für mich sein kann, denn unwissend bin ich jahrzehntelang ohne Kompressionen umhergelaufen. Bereits nachmittags spürte ich jeden Millimeter meiner Beine und abends konnte ich kaum laufen. Solche Schmerzen hatte ich mit meiner Kompression nicht. Seitdem sehe ich die Kompressionsstrumpfhose als großes Pflaster, welches mir hilft meinen Alltag zu bewältigen. Andere versorgen ihre Wehwechen ja auch mit Pflastern und Verbänden. Meines ist eben etwas größer und ganz wichtig, ich kann mich stets darauf verlassen. 

Durch Umdenken schaffte ich Lösungen und machte nicht länger meine Kompressionsstrumpfhose für alle Anstrengungen verantwortlich. 

Jeden Tag bekam ich mehr das Gefühl, dass wir uns aufeinander einstellen. Nach wenigen Wochen hatte ich eine Routine von Handgriffen entwickelt, so dass das An- und Ausziehen der Kompressionsstrumpfhose keine gesonderte Zeit mehr in Anspruch nahm. Es ist Alltag geworden und ich habe mich an das Tragen und das Gefühl der Kompression gewöhnt. In jeder meiner Taschen befinden sich Handschuhe. So ärgere ich mich auch nicht mehr, wenn ich diese vergessen habe und indirekt meine Kompressionsstrumpfhose dafür verantwortlich mache. 

Es ist nicht immer alles rosig

Selbstverständlich gibt es in jeder guten Beziehung auch Tage, an denen man sich nicht leiden mag. Das ist vollkommen in Ordnung. Schließlich muss man sich jeden Tag neu aufeinander einstellen und auch lernen, sich in solchen Situationen anzunehmen. 

Nach der ganzen Zeit sind wir ein eingespieltes Team und ich habe nicht mehr das Gefühl, dass ich lebenslang verurteilt wurde Kompression zu tragen, sondern eher, dass ich einen guten Partner mein Leben lang an der Seite habe. Partner verstecken sich nicht. Deshalb begleitet mich meine Kompressionsstrumpfhose überall hin. Sie ist nicht mein Mittelpunkt, spielt aber eine Rolle in meinem Leben. Sie hält mich nicht vom Leben ab, sondern unterstützt mich dabei, dass ich es nach meiner Vorstellung leben kann. Die Kompressionsstrumpfhose ist nicht mein Problem, sondern ein Teil oder besser gesagt ein Baustein der Lösung, wie man mich als Lipödem und Lymphödem Betroffene unterstützen kann. 

Aller Anfang ist schwer. Nimm Dir die Zeit, die Du brauchst und gehe Deinen Weg, der Dir richtig scheint. Damit auch Du Deine Kompressionen feiern kannst. 

Doch warum schreibe ich das ganze so ausführlich auf, obwohl der ein oder andere doch schon mitbekommen hat, dass ich meine Kompressionen an Armen und Beinen so feiere und sie als Schmuck und modisches Highlight bezeichne? Hier sogar als Lebenspartner … 

Ganz einfach, mit dem Rezept erhalten wir ein Hilfsmittel. Keiner fragt, ob man seelisch dazu bereit ist. Aller Anfang ist schwer und auch ich bin nicht vor Begeisterung in die Luft gesprungen. Denn meist hat man sich schon einiges im Leben im Bezug auf die Krankheit anhören müssen, was einen negativ geprägt hat. Ich hoffe, dem ein oder anderen Anregungen zu geben und durch meine erlebte Erfahrung unterstützen zu können, auch wenn wir natürlich alle unterschiedlich sind und jeder seine eigene Zeit braucht und seinen eigenen individuellen Weg gehen muss, um sich mit der Kompression identifizieren zu können.

Es ist verständlich und normal, dass man sich von der neuen Situation überrannt fühlt.

Eine positive Grundhaltung und das Annehmen der Kompression hat mir unglaublich geholfen zu akzeptieren, was ich nicht ändern kann.

Zudem habe ich versucht, positiv gestimmt zu bleiben, in dem ich sie mir bildlich als Partner vorstelle, mit dem man zusammenwächst und kleine Routinen entwickelt. Jeden Tag hat man die Möglichkeit seinen neuen Begleiter besser kennenzulernen. Nehmt Euch die Zeit, die Ihr braucht um herauszufinden, was Euch gut tut. Keiner erwartet, dass ihr morgen im Minirock über die Straße lauft.

Setzt Euch kleine Ziele. Wenn ihr eine lange Hose tragt, krempelt die doch einfach mal bis über dem Knöchel hoch und lasst die Kompression hervorblitzen. Wenn es sich für euch gut anfühlt, probiert ihr das nächste Mal eine zerrissene Hose oder Shorts. Die Kompressionsstrumpfhose ist Euer Verbündeter im Kampf gegen die Krankheit. Mir hat es auch sehr geholfen mich auszutauschen und zu beobachten, wie andere Ihren Weg finden und gehen. Findet heraus, was für Euch sinnvoll scheint und ich freue mich, wenn ich Euch ein wenig dabei unterstützt habe. 


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Lipödem Mode Simone Schäfer Autorin

Author: Simone Schäfer

Hallo Ihr Lieben. Ich heiße Simone und bin 1981 geboren. Mit meinem Mann, meiner Tochter und unserem Hund lebe ich in der wunderschönen Eifel. Nachdem ich im September letzten Jahres das Glück hatte auf einem Lip-/Lymphsymposium die Models im Auftrag für meinen damaligen Arbeitgeber auszustatten, bin ich das erste Mal mit der Krankheit konfrontiert worden und habe mich direkt wiedererkannt. Meine Diagnose bekam ich dann im November 2019. Mode ist für mich schon immer eine Art gewesen seine Persönlichkeit zu unterstreichen. Ich möchte zeigen und dazu motivieren, dass auch mit Kurven jenseits der gängigen Konfektionsgrößen der modischen Vielfalt nichts im Weg steht und die Kompression dabei einen sogar als modisches Highlight unterstützt.

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