Was IST Mode, was bedeutet sie für Kompressionsträger?

Kleine Kunstgeschichte und Appell für mehr Bewusstsein und Nachhaltigkeit

Mode kommt von modus = lat. Art und Weise, Maß, „Gemessenes“, gilt als die Regel, in einem bestimmten Zeitraum Dinge zu tragen und zu konsumieren. Sie ändert sich den Ansprüchen der Menschen entsprechend im Laufe der Zeit. Gegenstände und Kleidungsstücke, die über mehrere Zeiträume positiv bewertet werden, bezeichnet man dagegen als Klassiker.

Umgangssprachlich oft mit Kleidung gleichgesetzt ist Mode also einem ständigem Wandel unterzogen, aber für mich ist Mode mehr:

Kostüm-, Gewandkunde und Schneiderei gehören zum Kunsthandwerk und sind Betrachtungsgegenstände der Kultur-, Sozial- Kunstgeschichte, ist also bleibender Teil unserer Kulturen, Ausdruck unserer Fähigkeit, uns mit unserer sozialen und natürlichen Umwelt auseinanderzusetzen. In unserer Kleidung spiegelt sich unser gesellschaftlicher Stand wieder. Ob wir das nun wollen oder gut finden oder nicht – ich kenne viele Menschen, die schauen einem neuen Gegenüber erst einmal auf die Schuhe: Stil, teuer, gepflegt oder nicht …

Kostümkunde hat mich während des Studiums der Kunstgeschichte besonders interessiert, weil ich für unser Ensemble für Historische Musik und Tanz des 15.–17. Jhdts „Ludus Venti“ Kostüme schneiderte. Was trugen die Musiker damals für Kleidung? Antwort: Zum Teil sehr kostbare Stücke, die sie als Fahrende oder Stadtmusikanten von ihren Auftraggebern geschenkt bekamen! Die Unterkleidung bestand meist aus einer einfachen gerade geschnittenen Tunika, aber die Oberkleidung war aufwendig und nach der vorherrschenden Mode angefertigt.

Die Bedeutung von Mode im Mittelalter

Als sekundäre Quellen standen mir in den Institutsbibliotheken riesige Wälzer mit Abbildungen zur Verfügung. Primäre Quellen dafür waren vor allem zeitgenössische Bilder aller Art, wobei mich vor allem eine Handschrift faszinierte: Das Stundenbuch des Herzogs von Berry, Les Très Riches Heures du Duc de Berry bzw. kurz Très Riches Heures), das berühmteste illustrierte Manuskript des 15. Jahrhunderts. Es wurde in der Zeit zwischen etwa 1410 und 1416 von den Brüdern von Limburg für ihren Dienstherrn Johann von Berry gemalt und in den Jahren 1485 bis 1489 fertiggestellt.

Hier das Kalenderblatt für den Monat April (links), das die Verlobung eines hohen Paares während eines Ausflugs zeigt. Farben, Muster, Kopfbedeckungen und Frisuren entsprechen bereits unserem heutigen Verständnis von Mode, indem sie die Bedeutung der Figuren hervorheben. Auf dem Kalenderblatt für den Juni (rechts) sehnen wir das einfache Volk bei der Arbeit in Tunika und Arbeitsgewand.

Anhand von Darstellungen in Handschriften sieht man den Wandel in der Gewandung hoher Persönlichkeiten ab dem 9. Jhdts n. Chr. von oft nur über Gürtel drapierten Stoffbahnen hin zu nach Schnitten geschneiderter Kleidung, die bestimme Körperteile und Körperhaltung unterstrichen wie zum Beispiel das Hervorheben von Brust und Schultern männlicher Personen. Frauen wurden bis in das 15. Jahrhundert weniger abgebildet, und wenn, dann als Göttinen, Kaiserinmütter, Gemahlinnen oder Dienstboten. Seit Hoch-, Spätmittelalter und Renaissance gibt es mehr Bilder, aber oft als schmückendes Beiwerk für die gesellschaftliche Stellung des Mannes und weniger um ihrer selbst Willen. Aber wir sehen kostbare Kleider, welche gesellschaftliche Stellung unterstreichen und sie vom allgemeinen Volk abheben – was zu unserem heutigen Verständnis von Mode passt.

Wertvolle Farben

Bestimmte Farben blieben der Kleidung vornehmer Leute vorbehalten, da das Färben der Stoffe aufwendig und teuer war wie zum Beispiel Blau und Rot. Schwarz blieb vor allem seit der Zeit Philipps des Guten von Burgund (1396–1467) dem Hochadel vorbehalten. Das einfache Volk trug Beige- und Brauntöne.

Heute noch ist Schwarz die Farbe bestimmter Berufsgruppen wie Architekten, Musiker, Intellektuellen, Grufties … für mich war es lange Jahre einfach Berufskleidung. Schwarze Kleidungsstücke ersparen mir heute noch die Qual der Wahl beim Blick in den Kleiderschrank. Farbe trug ich, seitdem meine Kinder auf die Welt kam (die wollte ich nicht erschrecken), im Beruf blieb es bei Schwarz, und mehr Mut zur Farbe habe ich erst, seitdem ich Kompressionstrumpfhosen trage.

Von praktisch zu ästhetisch

Kleidermode impliziert auch die ästhetische Bedeutung und geht über das Verständnis von Kleidung als purem Gebrauchsgegenstand hinaus. Der Begriff trägt also dem Tatbestand Rechnung, dass Kleidung nicht nur dazu dient, den menschlichen Körper vor Wärme oder Kälte oder anderweitiger Beeinträchtigung durch die Außenwelt zu schützen, sondern auch dazu, ihn ästhetisch zu gestalten. Dies umfasst, ihn zu dekorieren, ihn zu formen, seine Vorzüge hervorzuheben bzw. als Mangel empfundene Komponenten des Aussehens zu kaschieren, sowie eine ästhetische Stimmung zu vermitteln, ein Lebensgefühl auszudrücken oder eine ästhetische Aussage zu treffen.

Je nach Stand und Mitteln wird und wurde bis zur Erfindung des Nylonfadens 1939 Nessel, Hanf, Leinen, Wolle und Baumwolle zur Kleiderherstellung verwendet, höhere Stände leisteten sich Seide und veredelte Tuche. Heute sind viele billig herzustellende Kunstfasern aus verschiedenen Stoffen hinzugekommen wie Viskose und Mikrofasern.

Wenn Mode seinen Wert verliert

Vor allem seit der Jahrtausendwende aber scheint Kleidung zum Konsumartikel verkommen zu sein – billig, schnelllebig. Einem jährlich wechselndem Diktat unterworfen, quasi ein Wegwerfartikel. Transport und Handel kosten mehr als die Herstellung, Billiglöhne in Asien machen es möglich. Was sagt das über uns aus?

Repräsentiert unsere Kleidung, unsere Billigmode, unsere gesellschaftliche Stellung, unsere innere Haltung, UNSERE Kreativität und unser Lebensgefühl?

Meine Schreibe ist einerseits ein Appell für Nachhaltigkeit und Wertschätzung beim Kauf von modischer Kleidung: Gegenüber sich selbst, denen, die Kleidung herstellen und gegenüber der Natur, die uns ihre Ressourcen für die Herstellung zur Verfügung stellt. Kleidung sollte nicht konsumiert werden. Denkt darüber nach, was nach der Tragezeit mit dem Kleidungsstück passiert: Wird es recycelt, kompostiert, landet es im Meer? Laut den in der Arte Sendung „Mit offenen Karten“ vom Samstag, dem 20. März 2021 zitierten Quellen besteht 35% des Mikroplastiks in unseren Weltmeeren aus der Kleidungsbranche! (Literaturangaben siehe unten)

Kleide dich bewusster

Denkt bitte beim nächsten Kauf eines mit Plastikpailletten bestickten Tops darüber nach bzw. tragt es bewusst und mit Würde zu Euch wichtigen Anlässen und pflegt es, damit es nicht vorschnell im Abfall landet.

Deshalb formuliere ich als zweiten Appell: nutzt Mode, um Euch darzustellen und damit etwas über Euch auszusagen. Dabei muss Mode nicht unbedingt ‚vorteilhaft‘ für Trägerin und Träger sein.

Mode genügt sich selbst, zum Beispiel in Shows als Ausdruck von Kreativität, Kunst und Weltanschauung. Deshalb muss ich immer schmunzeln, wenn die Mädels von GNTM sich so gar nicht für die Modelle begeistern können, die sie auf dem Laufsteg präsentieren sollen. Es geht dabei ja nicht darum, dass IHR TYP damit vorteilhaft unterstrichen wird, sondern sie sollen beim Laufen die Intension des Modeschöpfers zum Ausdruck bringen.

Wenn ich mich in AnRa-Mode aus Naturtextilien fotografieren lasse, ist das auch nicht immer vorteilhaft für meine Figur. Manche Röcke und Blusen betonen sogar meinen Ödembauch! Aber in diesen Kleidern, mit meinen grauen Haaren und den farbigen Strumpfhosen darf ich jetzt auch mal ein Knallbonbon sein und meine Lebensfreude und meinen Einsatz für hier gefertigte nachhaltige Kleidung zeigen. Also Danke in diesem Fall auch an Medi, denn ohne Eure Muster wäre ich zur resignierenden alten grauen Maus verkommen.

Mode ist eine Gradwanderung

Mode bzw. Kleidung ist und bleibt ein Spagat für mich zwischen zweckmäßiger Alltagsbedeckung und dem Wunsch, mich so zu zeigen, wie ich mich gerade fühle und natürlich dem, was ich mir finanziell leisten kann. Aber seitdem ich Kompressionsversorgung trage und vor allem sehr bewusst auch zeige, bin ich noch wählerischer geworden. Alte Kleidung trage ich bis zum Zerfall, und neue Teile müssen haltbar, qualitativ hochwertig und nachhaltig sein. Denn genau das ist auch unserer Kompression: Alle Hersteller bemühen sich in den letzten Jahren fortlaufend Sitz, Funktion, Qualität, Langlebigkeit und Optik zu verbessern. Manche Modelle haben sich zu Klassikern entwickelt, manche sind zu Mode geworden. Und WIE, das zeigen Euch Caroline Sprott und Team hier mit viel Liebe und Hingabe.

Danke Caro und Lipödem Mode!
Anm. d. Red.: Bitte, liebe Ursula! :-*


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ursula thomé

Author: Ursula Thomé

Hallo, ich bin Ursula Thomé, geboten 1956. Bei mir entwickelte sich nach Krebsoperationen sekundäres Lymphödem an Bauch, Leiste und Oberschenkel. Ich bin Altphilologin, war Lehrerin und nebenberuflich an Ballettschulen und in Sportstudios tätig. Musik und Sport begleiten mich auch im (Un-)Ruhestand: ich jobbe weiter in einem Fitnessstudio, wo ich Ödempatienten und Rehasportler begleiten kann, und ich stehe weiter am Bass auf der Bühne. Seit 2017 trage ich Kompressionsversorgung. Carolines Blog half mir mit wertvollen Informationen sehr, Hindernisse und Probleme im Zusammenhang mit meinen Ödemen zu meistern. Ich liebe meine farbigen Kompris – am liebsten mit Mustern und Schmuckkristallen in rockigem Outfit (auch offen auf der Bühne). Sie engen mich nicht ein, sondern sie helfen und unterstreichen meine Kleidung und meine Stimmung und ermöglichen mir weiter ein aktives und erfülltes Leben.

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